Lorbeeren in London

Im August 1871 zeigte Bruckner in London seine unerreichte Improvisationskunst. Gleich nach der Ankunft trieb es ihn zur Albert Hall, um die dortige Orgel kennen zu lernen. Es war schon spät und die Dampfmaschinen, welche die mächtigen Blasbälge bewegten, ohne Feuer. Auf vieles Bitten gestattete der Direktor schließlich daß Bruckner solange übe, als es der noch vorhandene Dampf erlaube. Kaum aber hatte der Meister in die Tasten gegriffen und die ersten Register gezogen, ließ der gestrenge Direktor beschämt Hals über Kopf die Kessel neu anheizen und lauscht ergriffen dem noch lange spielenden Professor aus Österreich.
Als an einem der folgenden Tage Bruckner wieder probte, hielt der Dampf eine halbe Stunde länger an als gewöhnlich. Das rettete Bruckner das Leben. Der von ihm bisher benützte Zug der Untergrundbahn hatte an jenem Tag einen schweren Zusammenstoß. Als Bruckner zu Station kam, trug man zu seinem Entsetzen eben die Schwerverwundeten heraus.
Das große Spiel in der Albert Hall schilderte Bruckner selbst etwa folgendermaßen: "Z’erscht ham s’ mi net fürilassen wolln zu der Orgel; weil i net herrisch anzogn war, ham s’ gmoant, i ghör gar net dazua. Nachher sitz i mi halt auf Bankerl, mach ’s Briaferl (das verschlossen überreichte Thema) auf und fang schön stad an. Auf amal schreit oaner zu mir her:&Mac226;Aber des is ja mein Thema!‘ I fang no(ch) amal an und arbeit’s halt aus. Z’erscht hübsch oben, schön fein und stad, dann alleweil mehr und mehr, bis daß halt ’s Pleno kuma is. Da hamt sie si(ch) gwundert, was alls in eahnara Orgel drin is! Sie ham’s gar net glaubn kina. Wiar i ferti(g) war, sand s’ alle daher kema und an iader hat ma d’ Händ druckt und die hinter meiner hamt überhaupt nimmer gspielt. ,Da tan ma nimmer mit,‘ ham s’ gsagt."
Durch dieses Meisterspiel über Nacht berühmt geworden, spielte Bruckner kurze Zeit später vor angeblich 70.000 (!) Hörern im Kristallpalast und wurde solange durch Dakapo-Rufe geehrt, bis er "noch a Draufgab" spendete.
Am 21. August 1871 bei der Londoner Feier der Deutschen Einigung (Great National German Festival) spielte Bruckner noch einmal im Kristallpalast. Er brachte der Weihe des Tages entsprechen Orgelimprovisationen über die "Wacht am Rhein" in solcher Vollendung und Gewalt, daß die englische und deutsche Hörerschaft ganz aus der sonst üblichen kühlen Steifheit herausging. "Auf die Schultern ham s’ mi in ganzen Saal umertragn!" erzählte der Meister später in seiner köstlichen Art. "Und a Lady hat ma glei an Heiratsantrag gmacht. Sie war ma aber z’weng sauber und i hab s’ stehn lassen!"

Quelle: Hans Commenda: Geschichten um Anton Bruckner", Verlag H.Muck