Freigesprochen

Dem Linzer Theaterkapellmeister Kitzler gebührt das geschichtliche Verdienst, Bruckner aus der Einseitigkeit des Sechterschen theoretischen Regelwerkes zum lebenden blühenden Kunstwerk geführt zu haben. Seit dem Jahre 1862 unterwies er ihn in Orchestrierung und Formenlehre, bis er im Sommer 1863 nach Brünn verpflichtet wurde. Da fragte Bruckner den Scheidenden: "Wann werde ich freigesprochen?" Kitzler ging lachend auf diesen Gedanken ein: "Mein lieber Bruckner, das kann jeden Tag geschehen. Längst hast du, der Schüler, mich, den Lehrer, übertroffen. Es gibt wirklich nichts mehr, was ich dich lehren könnte!" Der ob solchen Lobes überglückliche Bruckner führte daher am 10. Juli 1863 seinen "Professor" samt Gemahlin im Triumphe zum "Jäger im Kürnberg", einem idyllisch am Waldrand gelegenen ländlichen Wirtshaus, eine Gehstunde von Linz entfernt. Dort erfolgte dann nach einem solennen Mahl in aller gebührlichen Form der feierliche Freispruch.
Von diesem Augenblick an ging Bruckner als selbstschöpferischer Künstler bewußt seinen eigenen Weg. Er fühlte sich "wie ein Kettenhund, der sich von seiner Kette losgerissen hat"! Er machte sich begeistert ans Werk – und so entstanden bald darauf der "Germanenzug", sein erstes großes weltliches Chorwerk, und die "d-moll-Messe", seine erste große kirchliche Schöpfung.

Quelle: Hans Commenda: Geschichten um Anton Bruckner", Verlag H.Muck